Interview mit Chris Batke: Mitarbeiter auf der "Expedition Sinn"

Chris Batke

Interviewfragen: Stefan Birk

 

Chris Batke will die Zukunft der Arbeit schon heute leben. Aus diesem Grund hat er seine Karriere in der hierarchischen Welt der Großunternehmen aufgegeben und sich entschieden selbst kleine Praxisforschungslabore zu gründen, wie beispielsweise die „Expedition Sinn“ (www.expedition-sinn.de). Dort versammeln sich Gleichgesinnte, um Prinzipien aus der Zukunft der Arbeit im Selbstversuch zu testen. Wir haben Chris Batke gefragt, was denn seiner Ansicht nach die Fähigkeiten der Zukunft sind.

 

Welches sind die gravierendsten Trends zur „Arbeit der Zukunft“, die in den nächsten Jahren verstärkt auf die Unternehmen / Organisationen zukommen werden? Warum?

 

Meine Favoriten sind: Erstens Selbstorganisation, zweitens „Purpose driven organizations“ und drittens Selbstverwirklichung/„Wholesness“.

 

Die exponentielle Steigerung der Veränderungsgeschwindigkeit wirkt weiterhin unaufhaltsam. Es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht ein neuer Trend ganze Branche und Industriezweige zu erschüttern droht. Das Problem: Die aktuellen Unternehmenskulturen sind von Tradition und Spielregeln geprägt, die seit langer Zeit völlig unverändert sind. Durch die Komplexität der heutigen Zeit und der zunehmenden Veränderungsgeschwindigkeit, stoßen klassische hierarchische Systeme an ihre Grenzen.

 

Selbstorganisierte Teams sparen sich die Abstimmungswege langer, starrer Hierarchien. Dies wird insbesondere in solchen Organisationen stark gelebt werden können, die einem klaren „higher purpose“ folgen. In vielen Teilen der westlichen Welt sind die Grundbedürfnisse des Einzelnen weitgehend befriedigt. Es ist logisch und folgerichtig, dass wir Menschen in einer Wissensgesellschaft mit solch guter Grundversorgung danach streben einen wichtigen Beitrag in der Welt zu leisten. Selbstverwirklichung ist das nächste, kollektiv noch unbefriedigte Bedürfnis. Unternehmen, die dies bieten können werden bei der Rekrutierung und Bindung von Fachkräften die Nase vorn haben.

 

Stark in Zusammenhang mit dem „Purpose“ als Kern einer Organisation, der übrigens viel tiefer geht als irgendein Unternehmensleitbild, dass in der betrieblichen Praxis nur müde belächelt wird, steht der dritte Aspekt „Wholeness“.

Wir sprechen schon lange über die Work-Life-Balance. Ich glaube, dass der Ruf danach noch weiter wachsen wird, es sich dabei aber eigentlich nur um ein Symptom handelt. In Wahrheit leiden viele (wenn auch nicht alle) Menschen darunter, bei der Arbeit nur eine Facette ihrer Selbst zeigen zu dürfen. Es ist doch häufig so, dass wir im Berufsleben mit einer Maske herumrennen: Sei stark. Sei tapfer. Arbeite hart. Zeige keine Gefühle. Fahr die Ellenbogen aus und setz dich durch.

 

Wer möchte das denn wirklich? Wir Menschen sind soziale Wesen und die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt sowieso immer mehr. Die Arbeitgeber freuen sich über die ganztägige Erreichbarkeit Ihrer Mitarbeiter*innen. Andersherum sehe ich aber das Bedürfnis dramatisch steigern, dass wir uns in erster Linie als das zeigen wollen, was wir sind: Menschen. Wir sind Menschen mit Herz und Seele. Wenn meine Tochter krank ist, wie sollte ich das an der Stempeluhr zurücklassen können? Es beschäftigt mich und es macht mich auf Dauer krank, wenn ich wie ein Zahnrad im Getriebe einer großen Maschine einfach funktionieren soll.

 

Es gibt zunehmend mehr Unternehmen, die Wert darauf legen sozialen Raum für all diese Aspekte zu geben. Dies fördert natürlich die Teamkultur. Denn wenn ich mich zeigen darf mit all meinen Facetten, birgt das einerseits den Vorteil, dass meine Teammitglieder sich darauf einstellen können. Andererseits steigert sich meine Loyalität, meine Bereitschaft zum Engagement, meine Identifikation, meine intrinsische Motivation. Ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem ich wie ein Roboter behandelt werde.

 

 

Unternehmen, die es schaffen alle drei Aspekte zu vereinen, wird möglicherweise die Zukunft gehören.

Aber geht das denn in den großen Konzernen?

 

Das stimmt. Je größer eine Organisation, desto schwieriger die Transformation. Am Ende wird der Wandel zunächst von den kleinen 5% der Welt ausgehen: Pioniere, Abenteurer, mutige Start-Ups usw. Für mich aber der entscheidende Faktor: Kleine und mittelständische Unternehmen haben meines Erachtens gute Chancen hier Vorreiter zu sein.

 

 

Innerhalb welchen Zeitrahmens wird sich die Arbeit maßgeblich verändern? Warum?

 

Ich habe zuletzt häufig auf diese Frage geantwortet: Innerhalb der nächsten 10 Jahre. Allerdings ist klar festzuhalten, dass das Machtgefüge in Form von Einfluss, Kapital und Marktanteil momentan natürlich sehr stark bei den klassischen Großkonzernen liegt. Insbesondere diejenigen Organisationen, die selbst zu solch einem Wandel nicht in der Lage sind, werden natürlich heftig gegen neue Konkurrenten vorgehen.

 

Es wird vielen Angst machen, wenn sie sehen, dass Menschen glücklich, zufrieden und gerade deswegen hochgradig produktiv und innovativ arbeiten. Wenn Befehl und Gehorsam, sowie monetäre Anreize nicht mehr zum gewünschten Erfolg führen, bleibt die Frage, ob die Fähigkeit zum „mindshift“ in den oberen Führungsetagen tatsächlich da ist. Viele Konzernchefs mögen dem unaufhaltsamen Trend hinterherrennen und für eine nette Headline in den Medien ähnliche Programme ausrufen. Gleichzeitig werden sie trotzdem weiter in ihren Vorstandsaufzug steigen und in ihr abgeschottetes Büro fahren - 32 Stockwerke über denjenigen, die wirklich zählen: Die Menschen, die das Unternehmen tragen.

 

Von daher werden wir uns wohl noch etwas gedulden müssen. Für mich ist das Endergebnis aber unausweichlich. Wieso sollte ich mich weiter dem Kampf und Frust verschreiben, wenn ich stattdessen Miteinander und Selbstwirksamkeit leben kann?

 

 

Welche Stellung hat das Thema „Arbeit der Zukunft“ in den Unternehmen/Organisation heute? Woran kann man die Bedeutung ermessen? Wer ist zuständig und kümmert sich um das Thema?

 

In großen Konzernen gibt es häufig Abteilungen für Strategie, Unternehmensentwicklung oder einen Vorstandsstab. Manchmal vielleicht auch noch HR. Ein Trendthema ist hier meist aber nur etwas „mit dem wir uns mal beschäftigen müssen“. Wenn die öffentliche Diskussion in eine Richtung geht „müssen wir halt mal innovativ sein“. Das habe ich gerade im Finanzsektor stark erlebt. Am Ende ist dies häufig aktionistisch und Konzerne agieren nur, damit sie sagen können, dass sei beim Trend dabei sind. Ganz stark erleben wir das bereits bei Themen wie Arbeitgeberattraktivität, Work-Life-Balance, Familie und Beruf etc. Es werden ein paar Programme aufgesetzt, um irgendeinen Award oder ein Gütesiegel zu bekommen. Die DNA des Unternehmens hat sich im Kern aber überhaupt nicht verändert. In solchen Fällen kann nicht davon die Rede sein, tatsächlich die Zukunft der Arbeit zu leben. Es ist eher wie eine Fassade, die ein bisschen nach Zukunft aussieht.

 

Für vielversprechender halte ich Change-Programme, die im „dualen Betriebssystem“ (Kotter) laufen und tatsächlich im Hintergrund ein wahres Commitment vom Top-Management haben. Also interne Versuchslabore, die außerhalb der Hierarchie positioniert sind und über eine Projekt- oder Matrixorganisation hinausgehen. Ein Labor in dem tatsächlich unter realen Bedingungen neue Arbeitsweisen, Entscheidungs- und Konfliktklärungsprozesse von interessierten Mitarbeiter*innen getestet werden können.

 

In KMU spielt der Geschäftsführer/Inhaber/Vorstand für mich die entscheidende Rolle. Das Thema kommt auf die Agenda, wenn es dem Gründer/Chef ein persönliches Anliegen ist. Und so muss es auch sein. Ohne die Unterstützung von ganz oben, kann kein gravierender Wandel stattfinden. Am Ende ist nämlich nicht eine Stelle, oder eine Abteilung für solch einen Change zuständig, das ganze Unternehmen muss an einem Strang ziehen.

 

 

Welche Fähigkeiten werden für die Arbeit der Zukunft von größter Bedeutung sein?

 

Beziehungsfähigkeit, Selbstführung, Konfliktlösungskompetenz in Form von gewaltfreier Kommunikation sind beispielsweise in den Case Studies von Frederic Laloux elementare Fähigkeiten, um Selbstorganisation leben zu können. Denn wir müssen uns bewusst werden: In solchen Organisationen der Zukunft, wird es nicht weniger, sondern mehr Konflikte geben. Es wird zu Beginn schwieriger und anstrengender, da plötzlich Konflikte nicht mehr hoch delegiert werden, sondern auf den Tisch kommen. Ohne die passenden Kompetenzen und klar definierten Prozesse zur Konfliktbewältigung und Entscheidungsfindung kann schnell Chaos ausbrechen.

 

Außerdem werden sich auch diejenigen Mitarbeiter*innen schwer tun, die sich nicht dem ständigen organischen Wandel anpassen können. Wenn eine Organisation „purpose driven“ ist und durch Organisationsmodelle wie beispielsweise Holakratie die Beziehung Menschen/Rolle ständigem Wandel unterliegt, dann muss ich eine große Veränderungsbereitschaft haben.

 

Völlig unterrepräsentiert ist für mich das kritische Denken. Für mich bringt die Zukunft der Arbeit sehr viel Transparenz, aber auch sehr viel Selbstverantwortung mit sich. Außerdem habe ich auch die Verantwortung die Entscheidung von anderen Organisationsmitgliedern kritisch zu hinterfragen. Ich kann mich nicht mehr darauf ausruhen, dass mir eine Person vorgibt in welche Richtung wir marschieren sollen. Jedes Mitglied der Organisation ist aufgerufen dem der Organisation innewohnenden „purpose“ zu lauschen und zu überlegen, wie dieser purpose am Besten umgesetzt werden kann.

 

Eine weitere Fähigkeit ist für mich die Begleitung und Gestaltung von Transformationsprozessen. Es wird viel weniger darum gehen einmal fachliche Inhalte zu erlernen und dann stabil 20 Jahre Leistung zu bringen. Organisationen benötigen eine Fähigkeit sich evolutiv, kontinuierlich neu zu erfinden. Dies bringt natürlich erhebliche Anforderungen mit sich.

 

Organisationen brauchen Menschen, die keine Change-Programme durchprügeln, sondern die jeden Wandel als Prozessbegleiter gemeinsam mit den Betroffenen gestalten. Es wird sehr viel darum gehen mehr Menschlichkeit in diesen Prozessen zu zulassen und zu fördern.

 

 

Welche Eigenschaften/Fähigkeiten werden in Unternehmen / Organisation heute gefördert?

 

Ich sehe leider immer noch vermehrt Fachtrainings. In großen Organisationen gibt es auch Seminarprogramme, die Aspekte wie „soft skills“ berücksichtigen. Leider werden immer noch vierstellige-Trainerhonorare bezahlt, die Seminare mit 100 Seiten Powerpoint-Präsentation zumüllen, vielleicht 1-2 kleine Übungen machen und mit max. 10% nachhaltigem Wissenstransfer die Mitarbeiter*innen nach Hause schicken.

 

Darüber hinaus machen die Unternehmen einen entscheidenden Fehler: Es wird der Versuch unternommen einen Menschen so lange zu bearbeiten, bis er in die Schablone einer Funktionsbeschreibung oder Stellenausschreibung passt. Viel zu häufig wird dabei versucht Schwächen auszugleichen. In der Zukunft der Arbeit passt sich der Mensch nicht mehr an die Funktion an, sondern die Organisation und damit auch die Rollen und Aufgaben, wachsen mit dem Menschen.

 

 

Welches sind die wesentlichen Felder, auf die die Organisationen in der innerbetrieblichen Ausbildung fokussieren sollten?

 

Wenn es um die Nachwuchskräfte-Förderung geht, wie z. B. in Ausbildung, dualen Studiengängen und Trainee-Programmen würde ich zuallererst immer Lernbereitschaft und Gestaltungswillen fördern. Das Thema Nummer 1 muss Potentialentfaltung sein. Denn klar ist: Die aktuellen Krisen können wir einfach nicht mehr mit den Methoden von gestern meistern. Wie sollen wir anders auf zukünftige Krisen vorbereitet sein, wenn wir nur 20-30% der Mitarbeiter-Potentiale nutzen?

 

Dazu muss ich Räume eröffnen, in denen junge Menschen in einem selbst gewählten Rahmen Verantwortung übernehmen können und den Weg zum Ziel auch selbst bestimmen dürfen. Für mich bedeutet das einen dramatischen Paradigmen-Wechsel, denn viel zu häufig werden junge Menschen noch systematisch unterschätzt, einfach weil sie aufgrund fehlender Seniorität am unteren Ende der Karriereleiter einsortiert werden. Wir müssen langsam verstehen, dass Reife überhaupt nichts mit Alter zu tun hat.

 

Darüber hinaus müssen wir Wege finden die Erfahrungen und Kompetenzen der langjährigen Mitarbeiter*innen auf andere Art und Weise zu nutzen. Dynamischere Rollenmodelle, in denen ältere Mitarbeiter*innen eher Mentorenrollen übernehmen, wären ein Ansatz.

 

 

Welches sind die wesentlichen Felder, auf die Sie sich fokussieren? Warum?

 

Ich selbst habe mich dazu entschieden selbst kleine Praxisforschungslabore zu gründen, wie beispielsweise die „Expedition Sinn“. Dort haben wir auf der grünen Wiese begonnen Gleichgesinnte zu versammeln, um Prinzipien aus der Zukunft der Arbeit im kleinen Stile im Selbstversuch zu testen. In diesem Falle kommen Menschen zusammen, die alle eine Sehnsucht nach einer anderen Arbeitswelt, sowie der Wille eint, den eigenen Traumjob selbst zu kreieren.

 

Wir fangen ganz klein an, versuchen bei der Organisation und Durchführung von Workshops eine andere Zusammenarbeit zu leben und leben ergebnisoffene Prozesse. Gemeinsam suchen wir nach Wegen, solche theoretischen Konzepte auch praktisch anzuwenden. Es ist herausfordernd, auch auf ganz kleiner Ebene. Aber im Kern sehe ich, dass durch solch eine Art von Begegnung auf Augenhöhe viel Verbundenheit und Zufriedenheit entsteht.

 

 

Was ist ihr persönlicher Rat an die heutigen Schüler und Studenten bzw. die Wissensarbeiter des Jahres 2030?

 

Bevor du dich für eine Branche, eine Karriere, ein Unternehmen oder einen Job entscheidest, beantworte zunächst die folgenden Fragen:

 

· Wer bin ich?

· Was kann ich? Was sind meine einzigartigen Talente?

· Was will ich? Wofür will ich an meinem Lebensende stehen?

· Wo kann ich die dazu passenden Werte am ehesten leben? Wo kann ich meine wahren Bedürfnisse befriedigen?

 

Ich hoffe die heutigen Erkenntnisse aus Persönlichkeitsentwicklung, Potentialentfaltung und Berufsorientierung werden in Kürze den Weg ins Bildungssystem gefunden haben und Coaches wie mich braucht es 2030 gar nicht mehr. Denn in diesem Falle würden all diese Fragen schon während der Schulzeit beantwortet werden. In diesem Fall sehe ich einer rosigen Zukunft entgegen und ich bin sehr gespannt diese Zeit noch mitzuerleben. Denn es wird die Zeit sein, in dem die wahren Change Maker ins Berufsleben treten und unserer Wirtschaft und Gesellschaft kollektiv auf das nächste Bewusstseinslevel heben.

 

Vielen Dank!