Gastbeitrag: Mut zum Wandel - Auf dem Weg zum vernetzten Unternehmen  

Dr. Klaus von Rottkay, COO, Microsoft Deutschland


Wer als Unternehmen vernetzt denkt und handelt, ist innovativer und erfolgreicher. Und Digitalisierung ermöglicht bessere Vernetzung. Die digitale Transformation sollte daher Chefsache sein. 


„Das macht bei uns die IT“ – eine beliebte Antwort in deutschen Unternehmen, wenn es um die Digitalisierung geht. Wenn es so einfach wäre. Der digitale Wandel ist aber keine Aufgabe, die sich quasi per Hauspost einer Abteilung zuordnen lässt. Ganz im Gegenteil: Der digitale Wandel braucht vor allem Mut, und er muss von ganz oben kommen. Er ist eine originäre CEO- und COO-Aufgabe, und die Verantwortung kann nicht nur beim CIO liegen. Denn die Digitalisierung betrifft nicht nur einzelne Abteilungen, sie wird ganze Strukturen und Unternehmen komplett verändern. Wir sehen heute schon, dass selbst große Konzerne ins Wanken geraten, wenn sie eines nicht beherzigen: sich als vernetzte Organisation zu begreifen. Viele Unternehmen denken noch zu sehr in Hierarchien und „Zuständigkeiten“. Das könnte sich jedoch bald als Wettbewerbsnachteil erweisen. Denn die Digitalisierung verstärkt vor allem auch Innovationsprozesse. Denn wer vernetzt denkt und handelt, ist auch innovativer.

 

Fakt ist: Neue Produkte und Dienstleistungen basieren bereits heute oft auf erfolgreicher Vernetzung. Dabei müssen wir nicht einmal einen Blick auf die Big Player aus dem Silicon Valley werfen. Es lohnt auch ein Blick auf hiesige Start-Ups wie beispielsweise den Berliner Sprachlern-Dienst Babbel oder den Lieferservice Delivery Hero, die zunächst mit wenigen Mitteln und noch weniger Personal plötzlich mit ihren Produkten zu einem globalen Anbieter wurden – nicht zuletzt, weil sie sich vom Start weg als vernetzte Organisation begreifen. Sie haben zudem eine hohe Affinität zu neuen Technologien, arbeiten oft multidisziplinär und setzen beim Aufbau ihrer Unternehmen auf „Trial-and-Error“, also sie probieren mit kleinen Budgets viele neue Ideen aus und riskieren bewusst, mit den meisten zu scheitern. Diese neuen Unternehmen pflegen nicht die Vorsicht im Umgang mit Neuem, verweisen nicht ständig auf gelebte Tradition, auf das Know-how und die Kompetenzen. Sie probieren einfach aus.

Dieser Offenheit – ein entscheidender Wesenszug der digitalen Welt – stehen gerade mittelständische Firmen in Deutschland noch eher skeptisch gegenüber. Zumal der eingeschlagene Weg sich bislang als richtig erwiesen hat.

 

Die deutsche Wirtschaft steht solide da, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg 2014 um 1,3 Prozent, zudem erweist sich der Mittelstand nach wie vor als starke Säule: Rund 37 Prozent des gesamten Umsatzes der Unternehmen in Deutschland wird von mittelständischen Firmen erwirtschaftet. Auch zeigt sich das Land nach wie vor führend im Automobilsektor und Maschinenbau. Doch, und das ist der entscheidende Punkt: Die großen Innovationen der vergangenen Jahre, gerade in der digitalen Welt, wie beispielsweise Facebook oder AirBnB kommen allesamt nicht aus Deutschland. Außerdem zeigen sich beim Thema Digitalisierung noch zu viele zu zögerlich. Nach einer Studie von TNS Infratest und der Mittelstandinitiative der Commerzbank unter 4000 Managern in Deutschland glaubt die große Mehrheit der Führungskräfte (86 Prozent) an die Chancen der Digitalisierung, doch nur 15 Prozent setzen innovative Technologien wie Social Media, Big Data oder Cloud Computing bereits ein. Zu groß ist offenbar noch die Skepsis, zu sehr der Gedanke verbreitet: Vernetzung sei vor allem ein IT- und Kommunikations-Thema. Und das ist ein Irrtum. Digitalisierung ist viel mehr die Grundvoraussetzung für Wissensarbeit und Innovation.

 

Die Frage ist daher: Wie können wir unsere Potentiale nutzen, um den digitalen Wandel weltweit und gleichzeitig typisch deutsch anzuführen? Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden, vor dem Hintergrund, dass die klassische Industriearbeit in Deutschland immer mehr von der Wissensarbeit abgelöst wird. Nach Angaben des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) stellen „Wissensarbeiter mit über 40 Prozent die größte Beschäftigtengruppe in Deutschland dar“. Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) geht davon aus, dass 2020 der Anteil an Wissens- und Servicearbeit auf 85 Prozent steigt, während die Arbeit im produzierenden Gewerbe auf 15 Prozent zurückgeht. Und Wissensarbeit basiert vor allem auf Vernetzung.

 

Wissen und Können ist nichts um sich im Unternehmen von anderen abzusetzen, Wissen und Können ist etwas, dass dem Team, dem Netzwerk zur Verfügung gestellt wird. Das befeuert nicht nur Innovationen, das macht Unternehmen auch attraktiv für die raren Fachkräfte. Unternehmen müssen heute nicht nur das Miteinander von Beruf und Familie ermöglichen. Attraktiv für Fachkräfte sind auch Unternehmen, in denen Mitarbeiter über Arbeits-Ort und Arbeits-Zeit selbst entscheiden können – und in denen Wissen vermehrt und wirkungsvoll eingebracht werden kann. Im Zeitalter der Vernetzung ist daher die Aufgabe eines Unternehmens in erster Linie die exzellente Organisation von Wissensarbeit. Auch bei Fragen der Arbeitsorganisation im Team oder bei konkreten Lösungen für operative Themen kann jeder Mitarbeiter ein potenzieller Experte sein – wenn man ihm etwas zutraut. Das ist das Wesen von Wissensarbeit, das ist die Voraussetzung für Innovationsfähigkeit.

 

Auch deshalb gilt es, Organisationsstrukturen grundlegend zu lockern. Denn Vernetzung ist der beste Weg, um mit stetig wachsender Komplexität umzugehen. Noch herrscht das klassische Silo-Denken: Abteilungen innerhalb eines Unternehmens arbeiten im besten Fall parallel, selten gemeinsam und noch seltener vernetzt. Es scheint immer noch ein Problem zu sein, Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen zusammenzubringen. Dabei ist eine große Chance: Eine vernetzte Organisation aufbauen und die Kompetenz der eigenen, motivierten Belegschaft nutzen. Es ist in der Tat erstaunlich wie Unternehmen die Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter unterschätzen und nicht wahrnehmen, was alles möglich wäre, gerade im Hinblick auf die Innovationskraft eines Unternehmens. Statt die Brain-Power der eigenen Belegschaft zu nutzen, ist es oft leichter in Unternehmensberater zu investieren. 

 

Es geht aber nicht mehr darum, alte Strukturen „lean“ zu machen oder zu „optimieren“. Es geht darum, sich von ihnen zu verabschieden. Unternehmen müssen sich als vernetzte Organisation begreifen. Wir brauchen jetzt diesen mutigen Aufbruch, um als Wirtschaftsstandort weiterhin erfolgreich zu bleiben. Doch diese neue vernetzte Unternehmensstruktur wird nicht gelingen, wenn sich nur die IT- oder HR-Abteilung darum kümmert. Digitale Transformation ist Chefsache.