Stefan Birk
Guido Bosbach rief im Mai zu einer Blogparade auf. Das Thema: „new work, neue Arbeitsformen, Arbeiten 4.0: Was ist das, was soll das und wohin führt das?“ Nachfolgend unser Beitrag – und vielen Dank für das spannende Thema!

Beschäftigen Sie sich mit der ‚Arbeit der Zukunft‘? Dann dürften Ihnen im aktuellen ‚Marktgeschrei‘ die folgenden Begriffshülsen nicht entgangen sein: New Work, Arbeit 4.0, NW2W (New Way to Work), New Work Order, OutofOffice, Future of Work, neue Arbeitsformen, Work Design...
Was für eine Inflation von Begriffen und was für eine Menge von verschiedenen Konzepten, denkt man und beruhigt sich dann aber schnell mit der Einsicht, dass diese Unübersichtlichkeit durchaus üblich ist, wenn sich ein Thema durchzusetzen beginnt. Aber ist das richtig? Mit anderen Worten: Hilft das dem Thema? Und was ist zu tun, wenn das nicht der Fall ist?
Wir möchten auf diese Fragen mittels zweier Ansätze antworten. Wobei es sich dabei nicht um ‚Antworten‘ handelt,
denn das wäre zu hoch gegriffen. Man sollte eher sagen: ‚Vorschläge‘. Oder sogar noch besser: ‚vorläufige Vorschläge‘.

Der inhaltliche Ansatz
Inhaltlich erklärt sich die Sprachverwirrung damit, dass es zu einem so umfassenden Thema wie ‚Arbeit‘ natürlich viele Zugänge gibt. Dies hat sich auch in unserer Studie Wie wir morgen arbeiten... bestätigt. Hier nur einige der prominentesten inhaltlichen Fragestellungen:
Wo und wann soll Arbeit stattfinden? Ist es besser, im Büro zu arbeiten oder doch eher im Home Office, oder von überall aus als digitaler Nomade? Sind feste Arbeitszeiten die Garantie für ‚gute Arbeit‘, oder sollte man auf Vertrauenszeiten setzen? Welche Ausstattung braucht ein Büro heute – technisch, ästhetisch, organisatorisch?
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Arbeitswelt? Diese ist mit Sicherheit eine der meistdiskutierten Fragestellungen in der aktuellen Debatte. Wie sieht der ‚Digital Workplace‘ aus? Was macht die digitale Revolution aus unseren Unternehmensorganisationen?
Wie vereinbart man Karriere und Familie? Was wird von den Betroffenen gewünscht, um beide Welten miteinander zu vereinbaren? Mehr Geld um Haushaltsführung und Kindererziehung zu professionalisieren, oder doch besser flexiblere Zeitvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Wie geht man mit verschiedenen Generationen im Unternehmen um? Da stellt sich zunächst natürlich die Frage: Gibt es das Problem überhaupt? Mit anderen Worten, gibt es Unterschiede zwischen den Generationen oder ist beispielsweise die Generation Y eine Erfindung von Beratern? Ist die Unternehmenskultur darauf vorbereitet?
Oder vielleicht ein wenig theoretischer: Was ist gute Arbeit? Vielleicht die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang. Zum Beispiel: Ist eine langfristige Festanstellung die Basis für gute Arbeit, oder sind es doch eher die spannenden Projekte, die zählen? Wird die Sicherheit der Selbstverwirklichung durch Arbeit vorgezogen oder umgekehrt? Zählen nur noch Messbarkeit und Optimierung, oder auch die Inhalte?
Fürwahr eine sehr breite Diskussion. Was aber auffällt, ist der Mangel eines übergeordneten Konzepts, das die verschiedenen Dimensionen ganzheitlich ins Auge fasst. So fokussieren die meisten Beiträge auf ein bestimmtes Thema ohne Bezüge zu den anderen Themen zu berücksichtigen. Und diese eingeschränkte Sichtweise wird dann zum Konzept für die Arbeit der Zukunft erklärt.
So sprechen diverse Soft- und Hardwarefirmen zwar von ‚New Work‘, meinen aber in erster Linie den Einsatz von Kollaborationsplattformen oder Kommunikationstools, die praktischerweise vom jeweiligen Unternehmen angeboten werden. Auf der anderen Seite des Spektrums, beispielweise bei den Gewerkschaften, wird ebenfalls von Arbeit der Zukunft gesprochen. Das Thema ist aber eher die ‚Entgrenzung‘ der Arbeit, oft ohne die möglichen positiven Effekte technologischer Entwicklungen angemessen zu berücksichtigen.
Es existieren wenige Versuche, ein integriertes Konzept zu entwickeln, das die verschiedenen Dimensionen insgesamt in den Blick nimmt. Man kümmert sich eigentlich nur darum, was einem selbst am meisten bringt. Im schlimmsten Fall verwirren die offenkundigen Widersprüche den Unternehmenspraktiker in hohem Maße zusätzlich. Aber sie sind natürlich gut fürs Geschäft von Autoren, Beratern, Kongressorganisatoren und Zukunftsforschern. Man kann umfangreiche Analysen erarbeiten und unendlich viele Szenarien anbieten.
Es verwundert daher kaum, dass in der Unternehmenspraxis meist nur isolierte Einzelmaßnahmen umgesetzt werden. Dabei setzt man oft auf besonders plakative, sichtbare Maßnahmen, wie beispielsweise die Gestaltung der Büros. In vielen Fällen wird offenkundig alles getan, um die Arbeitsstätte wie ein Wellness-Hotel mit integrierter Shopping-Mall und ärztlicher Rundumversorgung aussehen zu lassen. In wenigen Fällen sind diese Maßnahmen Teil eines durchdachten Gesamtkonzepts, das die sichtbaren Änderungen der physischen Arbeitswelt mit Weiterentwicklungen in Organisation und Unternehmenskultur verbindet.
In der Beratungspraxis erlebt man oft, dass einem genau dieses Vorgehen als Erfolg verkauft wird. Das Unternehmen setzt einzelne Maßnahmen unter einem anspruchsvollen Projekttitel um und verkündet dann das Ende der Initiative bzw. des Themas, denn: das Ziel ist ja erreicht. Natürlich ändert sich oftmals trotz schönerer Büroumgebung nicht viel – und damit auch nicht viel am Arbeitsergebnis, also dem Unternehmenserfolg. Oder noch schlimmer: Gut gemeinte Maßnahmen werden wegen negativer Effekte wieder rückgängig gemacht. So zum Beispiel bei Yahoo, die das Home-Office-Programm wiedereinstellen mussten; oder der recht holperigen Realisierung eines neuen Organisationskonzepts bei Zappos.
Offenkundig hat man bei Yahoo das Arbeitsmodell hinsichtlich der Dimension Arbeitsort weiterentwickelt, aber vergessen, auch die Arbeitsorganisation bzw. die Managementmethoden anzupassen. Und bei Zappos hätte man vielleicht auch über Arbeitskultur und Arbeitsinhalte nachdenken sollen.

Der konzeptionelle Ansatz
Die heutige Debatte mit ihren vielen Begriffen und Konzepten ist auch hinsichtlich des Abstraktionsniveaus zutiefst verworren. Unsere These dazu lautet: Es fehlt der Mittelbau zwischen großer (gesellschaftlicher) Theorie und einzelnen (durchaus erfolgreichen) Praxisbeispielen. Was das genau heißt, wird am besten klar, wenn man die drei Niveaus kurz beschreibt.
Auf der Grundsatzebene scheint alles klar zu sein: Die Anforderungen der Zukunft bedürfen eines neuen Arbeitsmodells, insbesondere in größeren Organisationen. In unserer Stichprobe der 171 Quellen zur Arbeit der Zukunft wurde nicht in einem einzigen Fall Kritik an der Auffassung laut, dass sich die Arbeitswelt in den nächsten Jahren umfassend ändert.
Die Begründungen erscheinen vielfältig, ähneln sich jedoch bei genauerer Betrachtung. Unterm Strich könnte man die Argumentationslinie so zusammenfassen: Die Herausforderungen des digital befeuerten, globalen Wettbewerbs lassen sich nur bewältigen, wenn man den ganzen Menschen als Mitarbeiter gewinnt – inklusive seiner Kreativität und seiner/ihrer besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten.
Es ist nun keine wirklich neue Erkenntnis, dass man Menschen nicht wie Maschinen behandeln kann, will man mittels derer Kreativität besondere Ergebnisse erzielen. Spätestens seitdem die ‚Human Relations School‘ in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts dem ‚Scientific Management‘ Taylors ein Alternativmodell entgegengesetzt hat, sind diese Zusammenhänge klar. Und seit der Erfindung des Wissensarbeiters durch den Managementvordenker Peter Drucker in den 50er-Jahren stellt sich die konkrete Frage: Wie managt man Wissensarbeiter? Die Antwort der Anhänger des ‚New Work‘: Den oben beschriebenen idealen Mitarbeiter kann man nicht mit den Arbeitsmodellen des Industriezeitalters für die Ziele des Unternehmens gewinnen.
Soweit, so klar: Im Ziel scheint man sich einig zu sein. Aber wie soll man das bewerkstelligen? Welches Arbeitsmodell ist das richtige? Hier hilft man sich, indem man auf die Beispielsebene wechselt. Man schildert praktische Fälle und die dort erprobten Methoden. Man argumentiert also auf der Ebene der Einzelbeispiele – sozusagen Case-By-Case – ohne sich lange mit konzeptionellen Fragen aufzuhalten.
Das leuchtet dem geneigten Praktiker ein, der fröhlich zur Tat schreitet und sich aus dem ‚Beispielsmenü‘ etwas aussucht, um es umzusetzen. Hier beginnt aber in der Praxis oft der Leidensweg. Fragen zur Wirtschaftlichkeit werden gestellt, Widersprüche hinsichtlich der Priorisierung der Maßnahmen stellen sich ein und der Entscheider bezweifelt, ob diese spezifische Maßnahme überhaupt zum Unternehmen passt. Die Umsetzung stockt bevor sie Wirkung zeigen kann. Mit anderen Worten: Es kommt zum vielerorts diagnostizierten „Umsetzungsstau“.

Auch an dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Eines der großen Themen der letzten 30 Jahre, das in der Tat nahezu alle Industrien in allen Weltregionen aufs Heftigste durchgerüttelt hat, ist das Thema ‚Business Process Reengineering‘. Ebenso wie heute war in den Achtzigerjahren auf der grundsätzlichen Ebene völlig klar: die Unternehmen müssen auf intelligente Weise Kosten einsparen. Und ebenso wie heute gab es unendlich viele gute Beispiele aus unterschiedlichsten Unternehmen, wie man das macht. Aber erst das Konzept, ein Unternehmen als ein Konglomerat von Prozessen zu sehen, hat dazu geführt, dass eine Umsetzungsbewegung in Gang gesetzt wurde, die eine Zeitlang nahezu alle Unternehmen vollständig dominiert hat.
Genauso eine konzeptionelle Gesamtsicht – wir nennen es hier die mittlere bzw. die Konzeptebene – fehlt heute in
Bezug auf die Gestaltung neuer Arbeitsmodelle. Um dorthin zu gelangen, wird man nicht um die Frage herumkommen, wie eigentlich ein Unternehmen gesehen werden muss. Ebenso wie vor 30
Jahren konsequent die Prozessperspektive eingenommen wurde, bedarf es heute einer neuen Perspektive, die uns dabei hilft, Unternehmen und die darin stattfindende Arbeit neu zu sehen. Und es
bedarf eines Gesamtkonzeptes, das alle Dimensionen des Arbeitsmodells umfasst und unternehmensspezifisch anpasst.
Wie es aussehen soll? Natürlich haben wir darauf keine fertigen Antworten. Aber ebenso wie viele in der Szene haben wir eine Vorstellung davon, was moderne Unternehmen heute ganz sicher nicht mehr sind. Zum Beispiel sind sie kein Ort bzw. Gebäude mehr, zu dem man fährt, wenn man arbeiten will. Auch sind sie bald keine organisatorischen Hierarchien mehr, die man in Org-Charts aufzeichnen kann. Deshalb ist auch ein Arbeitsmodell, das Anwesenheitszeiten und Berichtswege eindeutig vorschreibt, nicht mehr angemessen. Die Liste an Beispielen könnte man fast beliebig weiterführen.
Was ist also zu tun? Erstens sollte man die Kraft nicht weiter in Begriffsfassungen und Labels investieren und auch jede weitere Begründung, warum das Thema grundsätzlich wichtig ist, scheint uns inzwischen überholt. Lieber sollte man darüber nachdenken, welche Sichtweise auf Unternehmen und die Arbeit man denn einnehmen muss, um zu neuen systematischen und integrierten Konzepten zu kommen.
Aber man darf nicht allein in Konzeptdiskussionen verharren, sondern muss vor dem Hintergrund eines vorläufigen, auf die Bedingungen des Unternehmens angepassten Gesamtkonzeptes anfangen, reale Projekte aufzusetzen und durchzuführen. Diese einzelnen Projekte – jeweils angepasst an das individuelle Unternehmen – ermöglichen anhand von praktischen Erfahrungen auch wieder Feedback für die Anpassung des Gesamtkonzeptes.
Man könnte auch sagen, man nähert sich der Arbeit der Zukunft evolutionär – einer großen Idee im Kopf, aber in kleinen Schritten nach vorne.