Simone Lackerbauer
Im April rief The New Worker zu einer Blogparade mit einem interessanten Themenschwerpunkt auf: Wie soll die perfekte Arbeitsumgebung für kreative Wissensarbeiter aussehen? Dass sich dazu aus verschiedenen persönlichen oder unternehmerischen
Perspektiven viel sagen lässt, das beweisen die eingereichten Beiträge. Das Spektrum der Leitfragen war dabei breit gestreut – von den Voraussetzungen oder dem Wesen einer „vernünftigen“
Arbeitsumgebung, bis hin zum größeren Kontext abseits des rein physischen Büros.
Auch uns beschäftigt dieses Thema – als ein Symptom des strukturellen Wandels der Arbeitswelt und der Gesellschaft: Denn fast alle 171 Quellen aus unserer Meta-Studie zur Arbeit der Zukunft – Wie wir morgen arbeiten – stimmen überein, „dass sich die Arbeitswelt in den nächsten Jahren (…) massiv verändern wird. (…) [N]iemand geht davon aus, dass die aktuellen technischen und gesellschaftlichen Veränderungen keine oder nur marginale Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben werden.“
Was meint der Begriff Arbeitsumgebung?
Die Arbeitsumgebung ist zum einen konkreter Teil der Physischen Arbeitswelt, eine der fünf Dimensionen des Workdesign-Modells, auf dessen Basis wir zur Arbeit der Zukunft forschen. Zum anderen kann sie auch im Kontext aller anderen Dimensionen unseres Modells verstanden werden: der Arbeitsorganisation (gehören zu meiner Arbeitsumgebung Teamkollegen, „Chefs“… ?), der Arbeitsprozesse und –technologien (Stichwort: „Digital Workspace“), Arbeitsinhalte (arbeite ich mit Kunden, mit Daten… ?) und natürlich auch der Arbeitskultur als eher unsichtbare, aber umso wirkungsmächtigere Umgebung.
Für unseren Beitrag nehmen wir den Begriff „Umgebung“ wörtlich und beschränken uns auf das „Wo?“
In unserer Studie erachten 67% diese Frage für relevant; sie ist immerhin das zweitwichtigste Thema nach der Beschäftigung mit den Arbeitsprozessen und -technologien. In welcher Arbeitsumgebung wird also der kreative Wissensarbeiter seine Arbeit künftig ausüben – jenseits der klassischen Büros? Natürlich ist das keine neue Fragestellung und es ist auch wahr, dass ein flexibler Arbeitsort für andere Berufsgruppen schon immer die Norm war. Vertriebler, Handwerker, Projektmanager, Unternehmensberater – all diese kreativen Wissensarbeiter (ja, auch ein guter Handwerker kann als Wissensarbeiter begriffen werden!) haben flexible Einsatzorte. Sogar beim Friseur – einer Berufsgruppe, die man ohne Zweifel als im höchsten Maße ortgebunden bezeichnen würde – findet man solche Arrangements. So lautete jüngst ein Aushang beim Friseurmeister um die Ecke: „Vermiete Friseurstuhl zur Mitbenutzung auf Stundenbasis.“
Für viele andere, die seit jeher in (mehr oder weniger) funktionalen Büros an einem von der Firma gewählten Standort tätig sind, ist heute allerdings ebenfalls etwas in Bewegung geraten. Das zeigt die Auswertung der Trends in unserer Studie: Besonders großes Interesse herrscht mit 70% der Nennungen am Trend zu (zeitlicher und örtlicher) Mobilität der Arbeit. Dieser Tendenz ist in der konkreten Arbeitswelt bereits am ehesten sichtbar und wohl daher auch vorherrschend in der Diskussion. Zwei spezifische Entwicklungen – die eine eher am Idealbild des herkömmlichen Büros orientiert, die andere eher ein Extrembeispiel für dessen Auflösung – sollen im Folgenden als Beispiele für zukünftige Modelle kurz charakterisiert werden.

Weiterentwicklung der physische Arbeitswelt: Coworking-Spaces
Das Prinzip des geteilten Friseursalons wird in der physischen Arbeitswelt der kreativen Wissensarbeit schon seit einigen Jahren gelebt. Der Begriff „coworking“ und der erste Coworking-Space wurden von einer Gruppe um Brad Neuberg in San Francisco erfunden; mittlerweile gibt es in den USA mehr als 800 Spaces, in Deutschland ca. 230. Hier kommen Fremde in einem Gebäude zum Arbeiten zusammen und teilen sich Ressourcen, die für den Einzelnen unerschwinglich sind. Konferenzräume, Gadgets, Kaffeemaschine, Strom gehören dazu – aber auch das Gefühl unter Start-Ups und Freiberuflern, zusammen zu arbeiten ohne zusammenzuarbeiten. Es geht um den Kampf gegen die Einsamkeit als Selbstständiger, um das Netzwerken, um das „Sharen“ von Know-How, ohne an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Übrigens können inzwischen nicht nur Friseurstühle, sondern auch Schreibtische in Firmenräumen gemietet werden – sozusagen das Airbnb fürs Arbeiten.
Coworking ist wohl eines der Phänomene, das – ermöglicht durch die digitalen Werkzeuge – von dem in unserer Studie identifizierten Megatrend „Wertewandel“ hervorgebracht wurden. Es existiert inzwischen eine oftmals als „kreative Klasse“ bezeichnete Gruppe von Wissensarbeitern, die die Sicherheit von Organisationen und Konzernen meiden und selbständig agieren. Und auch innerhalb von Unternehmen werden durchaus Stimmen laut, die eine dauerhafte Platzierung – immer im selben Büro, immer in räumlicher Nähe zu denselben Kollegen – für eher kreativitätsmindernd halten. Das Gegenbeispiel dazu wiederum ist ebenfalls zu diskutieren. Denn wenn man sich jeden Tag an einen beliebigen Schreibtisch setzen kann, entsteht kein persönlicher Bezug zur Arbeitsumgebung, zu den Kollegen – und zum Arbeitgeber. Möglicherweise könnten sich hier Job Rotation-Modelle und projekt- statt abteilungsbasierte Teams als zukunftsweisend herausstellen, um permanent eine kreative Arbeitsumgebung zu gewährleisten.
Entlokalisierte Arbeitswelt: Job-Nomadismus
Unser Friseurstuhl von oben steht auch für eine weitere Sicht auf die neue Arbeitsumgebung: Ein Friseur braucht zur Ausübung seiner Tätigkeit offenkundig nur einen Stuhl und seine Friseurwerkzeuge. Und der Megatrend „Digitalisierung“ hat dazu geführt, dass auch andere bisher sehr lokal gebundene Arbeitsstellen von der Mobilitätswelle erfasst werden. Denn Unabhängigkeit von Firmeninfrastrukturen zeichnet die Tätigkeitsfelder vieler kreativer Wissensarbeiter aus, die heute eigentlich nur Smartphone, Laptop und WLAN benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Damit sind längst nicht mehr nur die ersten „digitalen Nomaden“ namens Reise-Blogger gemeint, die ihre Arbeit nur dann verrichten können, wenn sie wie Nomaden von Ort zu Ort ziehen: In multinational agierenden Unternehmen ist die entlokalisierte Arbeit gang und gäbe. Gerade auf den Führungsebenen ist die Anwesenheit im Headquarter oftmals die schlechteste Variante, denn für die Führung von Teams in Tochtergesellschaften wird physische Anwesenheit benötigt. Auch ist Heimarbeit in diesen Kreisen nicht mehr die Ausnahme: Wenn der Arbeitstag in Deutschland endet, beginnt er beispielsweise in Kalifornien, so dass Projekte theoretisch rund um die Uhr nahtlos weitergeführt werden können. Auch Jobsharing ist ohne die Möglichkeit verteilter Arbeitsorte nicht machbar.
Geschuldet sind all diese Phänomene dem Megatrend „Globalisierung“. Je internationaler eine Branche oder ein Unternehmen ausgerichtet ist, desto flexibler muss es sein, um der Dynamik einer nie zur Ruhe kommenden, beschleunigten, technisierten Arbeitswelt standhalten zu können. Da dieser Trend wohl kaum in seiner Intensität nachlässt, erscheint es nur konsequent, wenn „Global Players“ wie zum Beispiel Microsoft den sogenannten „Vertrauensarbeitsplatz“ einführen (d.h., jeder Mitarbeiter entscheidet selbst, wann er den Arbeitsplatz in der Firma nutzt).
Auch der Megatrend „Demografischer Wandel“ könnte dazu beitragen, dass ein Büro mit einem Schreibtisch innerhalb eines Unternehmens nicht mehr als einzige „vernünftige Arbeitsumgebung“ angesehen wird. Die höhere Bereitschaft junger Wissensarbeiter zur durchaus gewünschten Mobilität drückt sich eben auch darin aus, dass das tägliche Erscheinen im Büro als ziemlich vorsintflutlich gilt. Aus diesen Gründen gehen wir davon aus, dass entlokalisierte Arbeit auch in Zukunft immer stärker zunehmen wird.

Nachsatz: Es wird viel geredet…
Die Auseinandersetzung mit einer „vernünftigen Arbeitsumgebung“ für den Wissensarbeiter ist notwendig, denn die Antwort auf die Frage nach dem „Wo“ ist für viele konkreter Ausdruck der Veränderungen der eigenen Arbeitswelt. Das zentrale Motiv unserer 171 Autoren in der Studie zur Arbeit der Zukunft ist allerdings nur die Analyse der sich aktuell abzeichnenden Trends – zum Beispiel die Frage nach dem Ort der Arbeit. Was trotz vielversprechender Praxisbeispiele noch fehlt, ist die Umsetzung in großen und mittelständischen Unternehmen. Mit anderen Worten; nach unserem Dafürhalten besteht hier ein „Umsetzungsstau“.
Dies liegt unter anderem daran, dass man sich in vielen Unternehmen – seitens der Arbeitgeber und auch der Arbeitnehmer – einer tiefgreifenden Veränderung der traditionellen Bürowelt aktuell noch nicht stellen kann oder will. Neue Prozesse innerhalb des bestehenden Rahmens einer physischen Arbeitsumgebung einzuführen ist weitaus einfacher, als den Rahmen an sich aufzubrechen und andere Formen der Arbeitsumgebung zuzulassen. Auch besteht sicherlich ein „generational gap“, bzw. eine Verständnis- und Wissenslücke zwischen der Führungsebene und den jungen Mitarbeitern, was eine „vernünftige Arbeitsumgebung“ auszeichnet.
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